Kommen die Berstädter „Ur-Einwohner“ zum Jubiläum nach Hause?

Bis zu 1.500 Jahre alt sind die Fundstücke, die vor etwa zehn Jahren bei Erschließungsarbeiten in Berstadt entdeckt wurden. Es handelte sich mit über 400 Gräbern um eines der größten frühmittelalterlichen Gräberfelder nördlich des Mains. Die Archäologen bezeichnen die Fundstücke als „ganz außergewöhnlich“. Die gefundenen Gräber sind in die Zeit der Merowinger einzuordnen. Diese reicht etwa vom Ende des 5. bis Mitte des 8. Jahrhunderts nach Christi. Im Hinblick auf das Wissen um die Merowingerzeit in Hessen bezeichnen Archäologen sie als „sensationell und teilweise gar revolutionär“. Erstaunlich ist für die Experten die Vielfältig- und Reichhaltigkeit der Beigaben. Aus den Funden lässt sich ablesen, dass die nördliche Wetterau ein Schnittpunkt alter Fernwege gewesen sein muss. Die Beziehungen reichten bis nach Südfrankreich und in das heutige England. Um sich einen Überblick über den Stand der Restaurierung zu machen und die Möglichkeiten einer temporären Ausstellung von Fundstücken in Berstadt zu besprechen, statteten Bürgermeister Rouven Kötter, Landrat Joachim Arnold und Kreisarchäologe Dr. Jörg Lindenthal der hessenARCHÄOLOGIE im Landesamt für Denkmalpflege in Wiesbaden einen Besuch ab, in deren archäologischer Restaurierungswerkstatt die beeindruckenden Objekte restauriert wurden. Die Wölfersheimer Gemeindevertretung hatte im letzten Jahr beschlossen, eine Teilausstellung der Fundstücke zum 1.200. Geburtstag Berstadts im Jahr 2017 zu ermöglichen.
18.12.19 / Gemeinde Wölfersheim

Wie Landesarchäologe Dr. Udo Recker im Rahmen des Besuches berichtet, ist das Berstädter Gräberfeld eine echte Besonderheit. „Das faszinierende an den gefundenen Gräbern ist nicht nur ihre Quantität, sondern vor allem ihre Qualität. Die Grabbeigaben lassen auf ein für diese Zeit sehr hohes gesellschaftliches Niveau der Bestatteten schließen. Alle Gräber wurden als Blockbergungen, d. h. mit der sie umgebenden Erde aus dem Boden entnommen. Dabei verblieben die Funde in den Gräbern in ihrem Zusammenhang und wurden erst später unter wissenschaftlichen Laborbedingungen in den Räumen der hessenARCHÄOLOGIE endgültig freigelegt. Auf diese Weise ließen sich u. a. organische Materialien wie z. B. Reste von Leder, Fell oder Textilien weitaus besser erkennen und konservieren, als bei einer Ausgrabung vor Ort. Im Laufe dieses Jahres wird mit der Erstellung eines wissenschaftlichen Kataloges der Funde und Befunde begonnen. Er wird nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten die Grundlage für weitere wissenschaftliche Arbeiten bilden. Schon jetzt lässt sich absehen, dass diese Ergebnisse sicherlich für Aufsehen in der archäologischen Fachwelt sorgen werden. Bürgermeister Kötter regte hierzu an, auch eine populär-wissenschaftliche Veröffentlichung in kleinerem Umfang zu erstellen, die dann von der interessierten Bevölkerung käuflich erworben werden könnte.

Während des Besuches bei der hessenARCHÄOLOGIE in Wiesbaden nutzten Kötter und Arnold die Gelegenheit, einen Blick auf die Funde zu werfen. „Das sind schon beeindruckende Gegenstände. Es ist unvorstellbar, wie vor so langer Zeit und ohne jegliche technische Hilfsmittel so filigran und hochwertig gearbeitet wurde. Ein Teil dieser Berstädter Geschichte sollte unbedingt vor Ort gezeigt werden,“ so Bürgermeister Rouven Kötter. Landesarchäologe Dr. Udo Recker sieht durchaus Möglichkeiten, einen Teil der Funde in Wölfersheim auszustellen. Er verwies jedoch auf den damit verbundenen Aufwand. Bislang sind rund 1,2 Millionen Euro in die Restaurierung der Stücke investiert worden. Aufgrund des Wertes müssten daher entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, und es muss sichergestellt sein, dass die Funde während des Transports und der Ausstellung nicht zu Schaden kommen. Kreisarchäologe Dr. Jörg Lindenthal, der für die Durchführung der Grabung verantwortlich war, hält eine Ausstellung für schwierig, aber durchführbar. Angesichts der Bedeutung der Funde will auch Landrat Joachim Arnold das Vorhaben unterstützen. Er war seinerzeit als Wölfersheimer Bürgermeister enger Begleiter der Ausgrabungen. „Die Funde aus Berstadt sind einmalig. Sie müssen unbedingt in voller Pracht in einem Museum einen angemessenen Platz finden. Es wäre jedoch absolut spannend und zum Jubiläumsjahr sehr passend, wenn ein kleiner Teil auch direkt vor Ort gezeigt werden könnte. Eine solche Ausstellung würde Besucher aus der gesamten Wetterau begeistern. Seitens des Kreises sichere ich eine fachliche und organisatorische Unterstützung zu,“ so Arnold. Man verständigte sich darauf, dass seitens des Landes für eine Ausstellung zunächst genaue Anforderungen definiert werden.

Eine weitere kreative und neue Idee ergab sich angesichts der prachtvollen Fundstücke im Schloss Biebrich: Gemeinsam wollen die Archäologen und die Gemeinde Wölfersheim prüfen, ob es möglich ist, Repliken einiger Fundstücke als käuflich erwerbbare Schmuckstücke herstellen zu lassen. „Das wäre eine tolle Sache, wenn wir beispielsweise eine Kette, einen Anstecker oder Manschettenknöpfe im Angebot hätten, deren Design bereits vor über 1.500 Jahren in Berstadt bei festlichen Anlässen getragen wurde.“ zeigte sich Kötter begeistert. Priorität hat jedoch zunächst eine wissenschaftliche Bearbeitung der Merowinger-Funde und der dahinter stehenden Geschichte für das Berstädter Festjahr 2017. Dafür wollen sich alle Beteiligten gemeinsam einsetzen.