Die Naturkümmerer

Auf einem schmalen Trampfelpfad gehen die beiden älteren Herren entlang eines matschigen Grabens. Nur vereinzelt bahnen sich Sonnenstrahlen ihren Weg durch die dichten Baumkronen. Aus allen Richtungen hört man den Gesang der Vögel. Vorbei an kleinen Hängen und durch dichtes Gestrüpp führt sie der Weg zu einer kleinen Lichtung, einem der schönsten und vermeintlich natürlichsten Orte, die es in Wölfersheim gibt und den sicherlich die wenigsten kennen.
22.01.20 / Gemeinde Wölfersheim

Vor Harald Barzen und Bernhard Zerb liegt ein kleiner Teich. Der Regen der letzten Wochen hat ihn gut gefüllt und reichlich Lehm von den umliegenden Feldern in ihn gespült, was ihn intensiv gefärbt hat. Am Ufer des kleinen Tümpels wächst etwas Schilf, Wasserlilien blühen in knalligem Gelb, und immer wieder schwirren leuchtend blaue Libellen zwischen den Grashalmen vor den Füßen umher. Die beiden unterhalten sich über die Bauten, die Fuchs und vermutlich Dachs in die kleinen Abhänge gegraben haben. „Früher wurde hier Sand abgebaut, zuletzt von der Firma Koch.“ erzählt Barzen. „Alte Södeler haben berichtet, dass nach dem Krieg jemand Handwaschpaste mit dem Sand hergestellt hat.“ weiß Zerb aus zuverlässiger Quelle zu berichten. Die beiden sind Mitglieder der Natur- und Vogelschutzgruppe. Die beiden ehrenamtlichen Naturschützer kümmern sich darum, dass Orte wie der Sonnborn auch für kommende Generationen erhalten bleiben. Auf einer Tour durch Wölfersheim haben sie einen Einblick in die Aktivitäten der örtlichen NABU-Gruppe gegeben. Mit oft kleinen Maßnahmen geben sie der Natur den notwendigen Raum, um sich zu entfalten. Am Sonnborn beispielsweise haben sie erst vor kurzem mit Unterstützung des Bauhofes die Sträucher zurück geschnitten. Würden sie das nicht machen, wäre der Teich schon in wenigen Jahren zugewachsen und würde durch das Laub versumpfen.

Die wenigsten kennen das kleine Naturschutzgebiet, und es wird auch nicht durch einen Zaun geschützt. Anders schaut es da beim Dorntal aus. Hinter den Zäunen und Toren verbirgt sich ein recht ungewöhnliches Naturschutzgebiet. Auch im Dorntal wurde einst Quarzsand abgebaut. Danach wurde das Gelände rekultiviert. Es wurde mit Erdaushub und Bauschutt wieder verfüllt. Man kann an den Hügeln seitlich noch immer Reste alten Schutts ausmachen. Die Natur hat sich hier ihren Raum zurück erobert. Umgeben von kleinen Hügeln, auf denen die Jäger einen Hochsitz aufgestellt haben, blickt man in der Mitte des Geländes einen kleinen Abhang hinunter, der dicht mit Büschen bewachsen ist. An allen Ecken blüht Holunder und anderes Gestrüpp. Während beim Gehen die hohen Grashalme an die Knie peitschen, erzählen Barzen und Zerb. "Eine Insel in der grünen Wüste", sagt Barzen und lacht. Einst sollte hier eine große Mülldeponie entstehen. Zahlreiche Wölfersheimer Bürger, darunter auch Mitglieder der Natur- und Vogelschutzgruppe, haben dies mit einer Bürgerinitiative verhindert. Recht nah am Eingang des Geländes hat ein Imker seine Körbe aufgestellt. Die natürlichen Wiesen sind ein Paradies für Bienen. Sie sind mit Spanngurten vor Honigdieben gesichert. Auch einige Meter weiter erkennt man, dass die von der Natur und Vogelschutzgruppe aufgehängten Nistkästen mit Kabelbindern gesichert sind. Als Grund dafür nennt Zerb den Waschbären. Die putzigen Tiere plündern regelmäßig Bienenstöcke und Nester. Die eigentlichen Klappen der Nistkästen öffnen Waschbären problemlos. Mit der zusätzlichen Sicherung ist es jedoch noch nicht getan. Selbst durch die kleinen Löcher der Kästen können diese noch durchwühlt werden. Ob dies geschehen ist merken die Naturschützer immer dann, wenn die Kästen regelmäßig gereinigt werden. Schaut man sich die Nistkästen dann von innen an, erkennt man, dass sie oft auch mehrmals genutzt werden und ist erstaunt, welche Materialien die Vögel zum Bau ihrer Nester verwenden. Neben Gras und Stöcken bauen einige Vögel ihre Nester auch mit Wildschweinborsten. Beim Reinigen finden sich oft auch mehrere Schichten, denn die Nester werden oft auch mehrmals im Jahr verwendet. Mäuse und Siebenschläfer nutzen die künstlichen Brutmöglichkeiten auch als Vorratsbehälter. Bei der Reinigung stellt das aber kein Problem dar. Lästig ist für die Naturschützer lediglich der Kleiber, der die Nistkästen bis auf ein kleines Loch mit einer Mischung aus Lehm und Speichel verklebt. Bis zu einer halben Stunde braucht man dann für die Reinigung des Nestes.

Apfelwein und kleine Eulen

Insgesamt betreut die Natur- und Vogelschutzgruppe mehr als 400 Nistkästen im gesamten Gemeindegebiet. Viele davon finden sich in Naturschutzgebieten oder auch im Södeler Wald. Dazu betreut der Verein auch Steinkauzröhren, von denen mehr als 20 in Wölfersheim und über die Gemeindegrenzen hinaus von der Gruppe aufgestellt wurden. Der Steinkauz ist die kleinste bekannte Eulenart. Die Naturschützer kümmern sich darum, dass mit den Röhren Nistmöglichkeiten zur Verfügung stehen, aber auch darum, dass die jungen Vögel beringt werden. Durch die Beringungen kann der Bestand der Tiere verfolgt werden. Diese erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden der NABU Bingenheim, Udo Seum, der auch für das Bingenheimer Ried zuständig ist. Im Jahr 2015 konnten etwa 30 Jungvögel beringt werden. Damit die scheuen Tiere nicht davon fliegen, werden die Röhren zunächst gesichert. Barzen hält einen Köcher vor das Einflugloch und Zerb lehnt derweil die Leiter am Baum an. Jung- und Altvögel werden nacheinander entnommen und zurück in ihr Nest gesetzt. Gebissen wurden die beiden bisher nicht. Dass die aufgeregten Vögel abkoten kommt jedoch des Öfteren vor, und so manches Hemd konnte danach eine gründliche Wäsche vertragen. Besonders freuen sich die Naturschützer darüber Altvögel ohne Ringe in den Nestern vorzufinden, ist es doch ein Zeichen dafür, dass noch natürliche Nistmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Steinkäuze brüten normalerweise in natürlichen Höhlen in Bäumen. Daher sind besonders Streuobstwiesen mit altem Baumbestand für sie interessant. Sind die Wiesen unter den Bäumen noch gemäht oder von Schafen kurz gehalten, finden die Jäger optimale Bedingungen und können Mäuse am Boden gut erkennen. Für die Naturschützer versteht es sich daher von selbst, auch den Erhalt der Streuobstwiesen zu unterstützen. Besonders erfreut zeigen sie sich darüber, dass wieder mehr Apfelwein vor Ort produziert wird und die alten kultivierten Flächen damit wieder mehr in das Bewusstsein gerückt werden.

An verschiedenen Stellen in der Gemeinde hat die Natur- und Vogelschutzgruppe in den vergangenen Jahren neue Obstbäume angepflanzt oder sie fachmännisch gepflegt. DIe Gemeinde unterstützen die ehrenamtlichen beispielsweise bei der Pflege von Obstbaumreihen im Feld. Neue Bäume werden oft selbständig beschafft, gepflanzt, mit Pfosten gesichert. Um die Wurzeln vor Wühlmäusen zu schützen, werden die Wurzelballen mit Draht geschützt. In den vergangenen Jahren hat die Natur- und Vogelschutzgruppe beispielsweise Bäume am Viehtrieb in Södel, aber auch an der Römerstraße neu gepflanzt. Eine ganz große Neuanpflanzung konnte dank der Unterstützung verhindert werden. Ein von der Gemeinde beauftragtes Unternehmen hatte die Bäume radikal zurückgeschnitten, so dass diese kurz vorm Absterben waren. Dank der ehrenamtlichen Unterstützung und einer fachgerechten Pflege konnten die Bäume jedoch erhalten werden, und man sieht ihnen den radikalen Eingriff nur noch mit geschultem Auge an.

Kleine Maßnahmen

Es sind kleine Maßnahmen, mit denen die Wölfersheimer Natur- und Vogelschutzgruppe der Natur unter die Arme greift und ihr Raum verschafft. Hinter einer Obstbaumreihe am Viehtrieb in Södel liegt beispielsweise der Acker eines Landwirtes. Ihn konnte man davon überzeugen, auf die Behandlung mit Unkrautvernichtungsmitteln und anderen Chemikalien zu verzichten. Zwischen den Ähren blüht nun großflächig und leuchtend roter Mohn. Erst wenn man darauf hingewiesen wird, erkennt man, dass dieser auf anderen Feldern nur am Rand blüht und sich zwischen dem Getreide keine einzige andere Pflanze ihren Weg ans Licht bahnen konnte. Insekten finden so immer weniger Nahrung. Besonders Bienen liegen Imker Zerb am Herzen. Um ihnen über die ganzen Sommermonate hinweg Nahrung zu bieten hat er selbst eine Blumenwiese in Södel eingesät. Der unbehandelte Acker in Södel stellt eher die Ausnahme dar. Als Laie verfällt man gerne dem Wunsch nach einer Landwirtschaft ohne Pestizide, auch wenn man die komplexen Vorgänge auf den Feldern vermutlich nicht im Detail kennt. Über die Landwirte hört man daher von den Naturschützern wenig Kritik, erhalten sie von ihnen sogar teilweise Unterstützung. Die Naturschützer bringen Ideen und Anregungen ein und arbeiten mit den verschiedensten Organisationen zusammen. Gemeinsam mit dem Wetteraukreis wurde beispielsweise eine Wiese mit verschiedenen heimischen Grassorten eingesät, die in gebräuchlichen Mischungen größtenteils nicht mehr enthalten sind. Gemeinsam mit der Gemeinde wird derzeit die Blumenzwiebelaktion optimiert um neben Narcissen auch für Insekten wertvolle Blüten in die Erde zu bringen.

Der Altersdurchschnitt in der Gruppe ist wie in vielen anderen Vereinen auch recht hoch. Dennoch sind die Mitglieder offen für neue Projekte und bisher nicht gewohnte Kooperationen. Als einer der ersten Vereine hat sich die Natur- und Vogelschutzgruppe für das Projekt Verein 3.0 angemeldet. Im Rahmen des Stadtradelns wurde eine geführte Tour durch die Gemeinde angeboten. Spricht man Wölfersheims Bürgermeister Rouven Kötter auf die aktive Gruppe an, hört man viel Lob: "Was zeichnet unsere Wetterau vor allem aus? Unsere wunderbare Naturlandschaft. In Wölfersheim ist es unter anderem den engagierten Mitgliedern der Natur- und Vogelschutzgruppe zu verdanken, dass diese besondere Landschaft erhalten und gepflegt wird. Hier geschieht viel Arbeit im Verborgenen, von der wir letztlich alle profitieren.Dafür können wir uns bei Bernd Zerb, Harald Barzen und ihren Mitstreitern bedanken." Barzen und Zerb sind ein Teil einer Gruppe, die man nicht nur als Naturschützer, sondern als "Naturkümmerer" bezeichnen kann. Man kann nur hoffen, dass sie durch ihr Engagement weitere, auch jüngere, Mitglieder finden. Jeder kann sich selbst dafür einsetzen, dass die idyllischen kleinen Orte, die alten Streuobstweisen, die von Blüten durchzogenen Felder und die Inseln in der grünen Wüste auch für künftige Generationen erhalten bleiben.