„Auf die Dauer hilft nur Power“

Über 100 Sprühdosen stehen auf dem Boden um das Stromhäuschen am Wölfersheimer Bornberg. Dazwischen versteckt zwei Flaschen Bier, Gläser und zwei Teller mit Brötchen, die dick mit warmem Leberkäse belegt sind. „Das haben uns die Anwohner gebracht.“ ruft Sebastian Höger, der gerade auf einer großen Klappleiter am Stromhäuschen steht.
07.10.19 / Gemeinde Wölfersheim

An der anderen Wand des Gebäudes steht Viktor Sobek auf seiner Leiter, die bis an das Dach des Gebäudes reicht. In diesem Moment nähert sich eine Nachbarin von hinten, und auch dem Kulturbeauftragten Sebastian Göbel, der eigentlich nur ein Bild machen wollte, wird ein Bier angeboten. „Die Leute sind begeistert und bei der Verpflegung macht es noch mehr Spaß.“ sagt Sobek mit einem breiten Grinsen. Zahlreiche Bürger bestaunten während einem Spaziergang das entstehende Werk und sprachen ihr Lob aus. Doch leider stößt das „Sprühen“ nicht immer auf solch große Gegenliebe. Vor wenigen Wochen zogen Unbekannte mit Sprühdosen bewaffnet durch die Gemeinde und hinterließen auf öffentlichen Einrichtungen und privatem Eigentum ihre Spuren. „BK“ war das Kürzel, über das sich einige Bürger ärgerten. Auch Sobekt und Höger waren verärgert, denn auch die von ihnen gestaltete Wand in der Unterführung zwischen dem Kreisel in Södel und dem Gewerbepark wurde beschmiert. Für Höger und Sobek ein absolutes Tabu. Die beiden sind Profis, ihre Künstlergruppe heißt „Maliwostok“, und in diesem Jahr haben sie bereits über 1.000qm Wand angemalt. Ihr größtes Projekt davon war eine Gestaltung am Hauptbahnhof in Halle unter dem Titel „Graffiti grüßt Georg“. In Halle wohnen und studieren die beiden Kreativen auch. An der Kunsthochschule Burg Giebichenstein wollen sie ihren Abschluss in Kunsterziehung machen. Höger ist 26 Jahre alt und kommt aus Schadeleben bei Aschersleben. Er ist Mitglied im Verein „Forward“, einem Netzwerk für Hip Hop Kultur. Sobek ist ein Jahr jünger. Geboren wurde er in Tschechien, aufgewachsen ist er jedoch in Wölfersheim - ein Heimspiel also.

Bei der Wahl des Motives haben sich die beiden auch etwas gedacht: Immer mehr Menschen, sind immer länger unterwegs zu Orten, an denen sie immer weniger Zeit verbringen. Das Bild soll zeigen, dass die Menschen immer abgehetzter sind, und zu unserem Überraschen haben sich viele Vorbeigehende mit dem Motiv identifiziert. Die Leute wollen mehr Natur, Ruhe und Harmonie - die der Wald darstellt; aber man merkt wie man sich immer mehr von dieser Ruhe weg bewegt - dargestellt durch den Radfahrer. Der Mensch bewegt sich in immer mehr komplexe und abstrakte Lebensweisen, die durch geometrische Muster dargestellt sind. „Auf die Dauer hilft nur Power!“ sind sich die beiden Künstler einig. Ein Motto, das auch zum Sponsor der Aktion, der OVAG, gut passt. Der lokale Energieversorger unterstützt die Umgestaltung finanziell. Initiiert wurde das Besprühen von der Gemeinde Wölfersheim. „Das Stromhäuschen am Bornberg war bis vor kurzem ein Schandfleck. Die ohnehin nicht ansprechenden Wände waren wild beschmiert. Für Anwohner und Passanten bieten sie nun ein ansprechendes und vor allem kreatives Bild. Ich danke der OVAG und den beiden Künstlern, die diese Aktion unterstützt haben.“ berichtet Bürgermeister Rouven Kötter.

Wie Kötter berichtet, verfolgt die Gemeinde mit der Gestaltung der Wand noch weitere Ziele. „Graffiti ist leider zu Unrecht mit einem schlechten Ruf behaftet. Es ist vielmehr als eine Form der Kunst zu sehen, an der sich alle Bürger im öffentlichen Raum erfreuen können. Die Vorurteile gegenüber dieser Kunstform kommen von wilden Schmierereien, unter denen oft auch Bürger direkt leiden.“ so Kötter. Anfang des Jahres wurde die erste Wand gestaltet - das Stromhäuschen am Bornberg und eine Travostation in Melbach folgten. Nun will man Jugendliche direkt ansprechen, um sie auf einen kreativen Weg zu bringen und Schmierereien zu verhindern.

An der Singbergschule wird so im Rahmen der Projektwoche ein Workshop angeboten. Die Schüler sollen dabei nicht nur den Umgang mit der Dose, sondern auch rechtliche Regeln kennen lernen. Für das Frühjahr ist ebenfalls ein Workshop bei der kommunalen Jugendpflege der Gemeinde geplant. Interessenten können sich bereits jetzt dafür vormerken lassen (Tel. 06036/904518). Damit die Teilnehmer der Workshops auch legal üben können, soll eine Wand in der Gemeinde freigegeben werden. Konkret handelt es sich dabei um eine Wand der Unterführung in Södel. Wer daran genügend geübt hat und der Gemeinde einen Motiventwurf vorlegt, bekommt einen Platz auf der Mauer am Rundweg in Richtung See (Verlängerung der Grubenstraße / parallel zum Heyenheimer Weg). Dort soll eine Freiraumgalerie entstehen. „Wir wollen mit den Aktionen wilden Schmierereien durch ein gewisses Niveau und Multiplikatoren vorbeugen. Wir können damit sicher nicht vermeiden, dass es zu wilden Schmierereien kommt. Sie werden jedoch mit Sicherheit kontrollierbarer. Außerdem bieten wir damit der Kunstform Graffiti einen Platz im öffentlichen Raum .“ ist sich der Kulturbeauftragte Sebastian Göbel sicher.

Wer weitere Werke der beiden Künstler sehen will, findet diese unter www.harzpiraten.wordpress.com. Die eigene Homepage der Künstlergemeinschaft befindet sich noch im Aufbau. Werke von Viktor Sobek sind ab dem 7. Dezember in Södel zu sehen. In der dortigen Hof Galerie Wetterau stellt der junge Künstler seine Werke auf Leinwand aus.